Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 01.03.2018 (Az.: 4 StR 399/17) über die Bedeutung der Eigengefährdung für das Vorliegen von bedingtem Tötungsvorsatz (dolus eventualis) bei riskanten Verhaltensweisen im Straßenverkehr entschieden. Im Wesentlichen ging es um die korrekte Anwendung des § 16 Abs.1 StGB. Da Vorsatzfragen im Zusammenhang mit Straßenverkehrsfällen beliebter Prüfungsgegenstand sind, handelt es sich um den Fall des Monats 03/2018.
Sachverhalt
Der Angeklagte A. lieferte sich mit dem Angeklagten B. ein Wettrennen. Im Fahrzeug des Angeklagten B. gab es eine Mitfahrerin. Im Verlaufe des Wettrennens überfuhren die Angeklagten die roten Ampeln mit stark überhöhter Geschwindigkeit. Passanten mussten sich hinter das Geländer eines U-Bahn-Steigs durch einen Sprung retten, um nicht von den Fahrzeugen erfasst zu werden.
An einer Kreuzung fuhren Der Angeklagte A. mit einer Geschwindigkeit von mehr als 160 km/h und der Angeklagte B. mit einer Geschwindigkeit von 140 km/h ein. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war den Angeklagten, die zuvor bereits in Kurven 100 bis 150 km/h erreichten, bewusst, dass im Falle eines Zusammenstoßes berechtigte Fahrer, die die Kreuzung überquerten nicht nur geschädigt, sondern höchstwahrscheinlich getötet würden. Dies war ihnen jedoch gleichgültig und sie überließen es dem Zufall, ob es zu einem solche Zusammenstoß kommen würde.
Im Kreuzungsbereich kollidierte der Angeklagte A. völlig unfähig zu einer Reaktion sodann mit dem Geschädigten W., der regelkonform in die Kreuzung einfuhr und infolge des Unfalls verstarb. Auch der Angeklagte B. kollidierte, so dass seine Beifahrerin erhebliche Verletzungen davon trug. Der Kopf einer Fußgängerin wurde von vorbeifliegenden Fahrzeugteilen nur um wenige Zentimeter verfehlt.
Urteil des Landgerichts
Das Landgericht verurteilte die Angeklagten als Mittäter (§ 25 Abs.2) bezüglich des Geschädigten W. wegen Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln (§ 211 Abs.2) und bezgülich der Beifahrerin des B. wegen gefährlicher Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs sowie mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs.1 Nr.2 und 5). Überdies auch wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung durch Nichtbeachtung der Vorfahrt und zu schnelles Fahren an der Kreuzung gemäß § 315c Abs.1 Nr.2a und d.
Urteil des BGH
Der Bundesgerichtshof sah aufgrund der Tatfeststellungen keinen ausreichenden Vorsatz für die Veruteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes, da nach § 16 Abs.1 StGB der Täter die Umstände, die zum gesetzlichen Tatbestand gehören, bereits bei ihrer Begehung kennen muss.
Ein dolus subsequens (der Täter fasst den Vorsatz erst später) genügt nicht.
Der Bundesgerichtshof verneinte den Tötungsvorsatz, weil das Landgericht lediglich feststellte, dass dieser erst bei Einfahren in den Kreuzungsbereich vorgelegen habe. Zu diesem Zeitpunkt nahmen die Angeklagten allerdings keine Tathandlung mehr vor. Da sich der Vorsatz nach § 16 Abs.1 StGB auf eine Tathandlung oder ein Unterlassen erstrecken muss, konnte sich der Vorsatz („spätestens jetzt“) nicht mehr strafbegründend auswirken. Dies gilt umso mehr, als dass die Angeklagten beim Einfahren in den Kreuzungsbereich eben nicht mehr reaktionsfähig waren („völlig unfähig zu einer Reaktion“)
Dies findet seine Stütze im Wortlaut des § 16 Abs.1: „Wer bei Begehung der Tat…“
Examensrelevanz
Das Urteil beschäftigt sich neben Fragen zum bedingten Vorsatz und der oben beschriebenen Notwendigkeit des Vorliegens eines Tatentschlusses vor Vornahme der maßgeblichen Tathandlung mit allgemeinen Fragen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Straßenverkehr. Es ist daher gut möglich, dass der Fall als Vorlage für eine Klausur oder die mündliche Prüfung dient und daher ab Seite 8 lesenswert.
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