Am 14.01.2019 hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht Bautzen einen Beschluss gefasst, der zunächst einmal die prozessuale Besonderheit hat, dass es um einen Antrag auf Zulassung der Berufung geht.
Dergleichen Beschlüsse sind sowohl im 1.Staatsexamen als auch im 2. Staatsexamen von keinerlei Relevanz, aber aufgrund ihrer Seltenheit zumindest als „interessant“ einzustufen.
Von erheblicher Bedeutung für die Erste juristische Staatsprüfung ist allerdings der baurechtliche Nachbarschutz. Lesenswert sind die Randnummern 11-20 des Beschlusses.
In Randnummer 14 stellt der Beschluss zunächst die Voraussetzungen einer baurechtlichen Prüfung im vereinfachten Verfahren nach § 63 Abs.1 SächsBO fest. Demnach gehört das Bauordnungsrecht im vereinfachten Verfahren nicht zur Prüfung.
Sodann geht der Beschluss auf das Verhältnis von § 34 Abs.2 BauGB und § 34 Abs.1 BauGB ein. Anzumerken ist an dieser Stelle wie wichtig es ist, dass man einerseits klar die Absätze benennt (dies machen einige Jurastudenten auch in höheren Semestern nicht) und die Prüfung immer mit § 34 Abs.2 BauGB beginnt, denn wenn ein Fall des § 34 Abs.2 BauGB vorliegt, kann man sich die Prüfung von Absatz 1 hinsichtlich der Art des Baugebietes sparen.
Weiter geht das Urteil in Rn.16 auf § 15 Abs.1 BauNVO und das Verhältnis zu §§ 2-14 BauNVO ein. Der Beschluss führt hierzu aus: „Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12. Dezember 1991 – 4 C 5.88 -, juris Rn. 19). Letzteres gilt jedoch nur hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung. Soweit das Maß der baulichen Nutzung bei einem hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zulässigen Vorhaben in Rede steht, ist aber – wie vom Verwaltungsgericht zutreffend angenommen – das Rücksichtnahmegebot aus § 34 Abs. 1 BauGB abzuleiten, weil sich § 34 Abs. 2 BauGB nur auf die Art der baulichen Nutzung bezieht.“
Ferner beschäftigt sich das Urteil ab Rn.17 mit dem Nachbarschutz. Es wird zunächst klargestellt, dass § 34 Abs.1 BauGB nicht schlechthin nachbarschützende Wirkung zukommt. Negativ aufgezählt (keine nachbarschützende Wirkung) werden Regelungen über die überbaubare Grundstücksfläche, ebenso wie solche über das Maß der baulichen Nutzung und der Bauweise. Eine faktische Baugrenze führt allenfalls dann zum Nachbarschutz, wenn sie in einem Bebauungsplan festgesetzt ist und die Festsetzung nach dem Willen der planenden Gemeinde nicht nur der städtebauliche, Entwicklung und Ordnung, sondern auch dem Schutz der Interessen der Grundstücksnachbarn dienen soll.
Schließlich beschäftigt sich der Beschluss mit dem im 1. Staatsexamen in Baurechtsklausuren prüfungsrelevanten Gebot der Rücksichtnahme, der sich aus dem Tatbestandsmerkmal des Einfügens aus § 34 Abs.1 BauGB ergibt. Das Gericht führt aus: „Ob ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme vorliegt, ist im Wege einer Gesamtschau, die den konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, zu ermitteln. Die vorzunehmende Abwägung hat sich deshalb daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist.“
Für die Frage, ob im Bau eines Balkons, der Einsicht in das Nachbargrundstück verschafft, ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu erblicken ist, führt das Gericht aus: „Es ist vielmehr zu berücksichtigen, dass das Gebot der Rücksichtnahme in aller Regel keinen Schutz vor Einsichtsmöglichkeiten auf Grundstücke bietet, da es Nachbarn in einem bebauten innerstädtischen Wohngebiet hinnehmen müssen, dass Grundstücke innerhalb des durch das Bauplanungs- und das Bauordnungsrecht vorgegebenen Rahmens baulich ausgenutzt werden und es dadurch zu – wechselseitigen – Einsichtsmöglichkeiten kommt (Senatsbeschl. v. 4. August 2014 – 1 B 56/14 -, juris Rn. 19). Die Grenze des Zumutbaren wird erst dann überschritten, wenn ein Vorhaben Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück eröffnet, die über das hinzunehmende Maß hinausgehen, etwa wenn ein Balkon in unmittelbarer Nähe zu einem vorhandenen Schlafzimmerfenster errichtet werden soll oder wenn eine Dachterrasse aus kurzer Entfernung Einsichtsmöglichkeiten nicht nur in einen Innenhof, sondern auch in die Fenster eines Nachbargebäudes eröffnet.“
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